Artikel aus der Onlineausgabe der NOZ vom 16.02.2022, www.noz.de/...-21145432
Die Polizeidirektion Osnabrück warnt: Immer mehr Kinder und Jugendliche in der Region verschicken freizügige Aufnahmen via "Snapchat" und "Whatsapp". Wie können Eltern ihre Kinder davor bewahren, dass Nacktbilder von ihnen unkontrolliert im Netz kursieren? Der Chefarzt der Kinder- und Jugendpychiatrie des Kinderhospitals Osnabrück, Werner Terhaar, gibt Tipps.
Immer mehr Kinder und Jugendliche in der Region verbreiten nach Erkenntnissen der Polizei pornografische Inhalte. Wie groß ist nach Ihrer Einschätzung das Problem, dass Kinder und Jugendliche Nacktbilder von sich via "Snapchat" und "Whatsapp" verbreiten?
Das Phänomen nimmt zu. In erster Linie geht es Kindern und Jugendlichen bei der Nutzung dieser Medien ja um soziale Kommunikation. Aber diese Medien sind auch problematisch, da die Bilder den vertraulichen Bereich verlassen können und man nicht mehr abschätzen kann, an wen die Bilder überhaupt geschickt werden. Selten ziehen Kinder in Betracht, dass diese Posing-Bilder und Nacktbilder auch missbräuchlich verwendet werden können und dass sich dann auf einmal ganz andere Zielgruppen diese Bilder angucken.
In welchen Situationen kommt es häufig dazu, dass die Bilder missbräuchlich genutzt und an andere Personen weitgeleitet werden?
Es kommt oft vor, dass solche Bilder in Freundeskreisen und darüber hinaus die Runde machen, wenn eine Beziehung beendet wurde und jemand Rachegelüste auslebt, indem er solche Bilder weiterleitet. Da geht es dann auch um eine Art von Demütigung. Es fehlt in den meisten Fällen auch völlig das Bewusstsein dafür, dass man sich damit strafbar macht.
Welche Rolle spielt sexuelle Belästigung von Kindern im Internet durch das sogenannte Cybergrooming?
Wenn Erwachsene sexuelle Kontakte zu Kindern in Chaträumen durch Vortäuschung einer falschen Identität anbahnen, ist das ein großes Problem. Auch hier wird versucht, an Nacktbilder und Posing-Bilder von Kindern und Jugendlichen zu gelangen. Ein großes Problem dabei ist die mangelnde Medienkompetenz. Kindern muss diese Gefahr besser bewusst gemacht werden. Es ist ein großes Risiko, dass solche Bilder in die Hände von Pädophilen und über sie auf Kinderpornografie-Seiten geladen werden, wo es sehr schwierig ist, solche Bilder wieder löschen zu lassen. Im schlimmsten Fall kommt es nach diesen ersten Chat-Kontakten auch zu realen Treffen mit den Pädophilen.
Welche psychische Schäden verursacht es, wenn Kinder und Jugendliche mitbekommen, dass Nacktbilder von ihnen unkontrolliert im Netz kursieren?
Jeder geht mit solchen Belastungen unterschiedlich um. Grundsätzlich kann dieser Kontrollverlust einen traumatisierenden Schaden verursachen, Albträume sowie eine massive Scham vor Mitschülern hervorrufen. Das Selbstwertgefühl kann durch diese öffentliche Bloßstellung dramatisch leiden. Eine schwere Traumatisierung sollte in jedem Fall durch Kinder- und Jugendpsychiater professionell behandelt werden. Es kommt durchaus öfter vor, dass solche Krankheitsbilder auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Kinderhospital in Osnabrück behandelt werden.
Was können Eltern präventiv machen, um ihre Kinder vor solchem Missbrauch zu beschützen?
Das Wichtigste ist, den Kindern die Grundlagen einer guten Medienkompetenz zu vermitteln. Es fängt mit dem regulierten Umgang mit Medien an. Kinder sollten wirklich erst dann ein eigenes Handy bekommen, wenn man sich wirklich sicher ist, dass sie damit verantwortungsvoll umgehen. Man lässt die Kinder ja auch erst alleine zur Schule gehen, wenn man sich sicher ist, dass sie die Straßenverkehrsregeln beherrschen. Unterm Strich heißt das: Kinder müssen lernen, dass einmal gepostete Bilder für alle öffentlich zugänglich sind und andere diese auch herunterladen und teilen können. Zudem ist von großer Bedeutung, dass Eltern lernen, ihren Kindern zuzuhören. Man sollte mit den Kindern ständig im Gespräch bleiben, an ihrem Alltag teilhaben und eine Vertrauensbasis schaffen. Kinder müssen überhaupt erst einmal bereit sein, den eigenen Eltern anzuvertrauen, dass intime Bilder von ihnen die Runde machen.
Wie sollten Eltern reagieren, wenn sie erfahren, dass Nacktbilder des eigenen Kindes im Internet kursieren?
Eltern müssen sich mit Kindern und Jugendlichen gemeinsam Hilfe suchen. Sie sollten sich an die Vertrauenslehrer in der Schule wenden, Anzeige bei der Polizei erstatten und versuchen, die Bilder etwa über die Inhaber der Webseiten und Blogs löschen zu lassen. Auch bei Suchmaschinen wie Google kann man die Löschung von Links beantragen, die mit unangenehmen Inhalten verknüpft sind. Darüber hinaus gibt es gute Beratungsstellen im Internet wie "HateAid". Auch diese Stellen können helfen, solche Bilder aus dem Internet löschen zu lassen. Das Entfernen der Bilder aus dem Netz ist ein ganz wichtiger Faktor, um die seelischen Schäden zu lindern. Es ist oft schon sehr entlastend, nicht mehr das Gefühl haben zu müssen, dass man jederzeit darauf angesprochen werden könnte.